Biografie über Walter Spies

15. September 1895  -  † 19. Januar 1942

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Autor   : Michael Schindhelm

Quelle : CHRISTIAN SCHRÖDER


Glückskind auf Bali

 

Stummfilm Pionier, Musiker, Maler - und als Schwuler verfolgt: Michael Schindhelm erzählt in einer lange überfälligen Biografie über das Leben des großen Künstlers Walter Spies.

 

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Er war ein Abenteurer und er hatte keine Angst. „Ich bin schon so oft in Vulkane gefallen“, konstatierte Walter Spies in einem Brief an seine Mutter. „Einmal mehr macht fast gar nichts aus.“ Im Ersten Weltkrieg war er, gerade 18 Jahre alt, als Bürger eines feindlichen Staates aus Sankt Petersburg in die Verbannung an die sibirische Grenze geschickt worden. Sein Leben bestand aus Aufbrüchen und Abstürzen. Spies hat als Musiker, Bühnenbildner, Tanzlehrer und Übersetzer gearbeitet, bevor er nach Bali ging, wo er als Maler berühmt wurde.

„Lieber Papa, ich möchte absolut werden in allem“, teilte er im Revolutionsjahr 1919 seinem Vater mit. „Ich glaube, dass ich jetzt eine Krise durchmache. Entweder wird es überhaupt nichts, oder etwas sehr sehr Herrliches!“ Für ihn und seine Selbstwahrnehmung galt der zweite Teil des Satzes. Freunde befanden, die „Fähigkeit, glücklich zu sein“ sei sein wichtigster Wesenszug. In Deutschland ist das Glückskind, das in Holland, Großbritannien und in Indonesien längst als großer Künstler geschätzt wird, weitgehend unbekannt geblieben.

 

„Er ist schwer fassbar“, sagt Michael Schindhelm, der Walter Spies und seinem – so der Untertitel – „exotischem Leben“ nun eine lange überfällige Biografie gewidmet hat. „Außerdem ist sein Werk heute in Deutschland nicht sichtbar.“ Spies war kein sonderlich produktiver Künstler, mehr als zwei, drei Bilder im Jahr hat er nicht gemalt. Sie zeigen in abgedämpften Farben, Sachlichkeit und Ornament eigentümlich vermischend, das Leben im Dschungel. Jagdszenen mit Hirschen und Antilopen in hartem Licht. Bauern auf geschwungen terrassierten Reisfeldern. Zickzackförmige Krieger bei Speer- und Lanzenkämpfen. Die meisten Gemälde befinden sich in Privatsammlungen, wenn einmal eins auf eine Auktion gelangt, erreicht es schnell einen Preis im siebenstelligen Bereich.

 

Das Weihevolle mag er nicht

Walter Spies, der 1895 als Sohn eines Vizekonsuls in Moskau geboren und Walja genannt wird, wächst in Russland und Deutschland auf. Er besucht in Dresden das elitäre Vitzthum-Gymnasium, begeistert sich für Richard Strauss’ Opern „Salome“ und „Elektra“, die in der Semperoper uraufgeführt werden, und ist von den Malern der Künstlergruppe Brücke beeindruckt. Eine akademische künstlerische Ausbildung wird Spies nie bekommen, aber Otto Dix, mit dem er eine Korrespondenz beginnt, Paul Klee und Marc Chagall steigen zu Leitsternen seiner Arbeit auf. Das Weihevolle mag er nicht, bald nach dem Ersten Weltkrieg spottet er: „Der Dadaismus ist das Einzige, was noch Berechtigung hat, denn es ist das Blödeste vom Blöden und deshalb das einzig Vernünftige in der Kunst.“

 

Ein Foto zeigt den Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau an seinem Schreibtisch, hinter ihm reiten altasiatische Männer auf spreizbeinigen Pferden über beblumte Wiesen ihrer Jagdbeute hinterher. Die Wandmalereien stammen von Spies, mit dem Murnau ein paar Jahre liiert ist. Mit einem kubistischen Bühnenbild für eine Hamsun-Inszenierung hat der Künstler noch in Dresden reüssiert, 1920 zieht er nach Berlin. Der Schauspieler Conrad Veidt führt ihn in die schwule Boheme der Reichshauptstadt ein, Spies arbeitet an Murnaus Dracula-Film „Nosferatu“ mit, seine Malerei feiert Erfolge.

 

 

Die avantgardistische, streng antibürgerliche Künstlervereinigung Novembergruppe zeigt einige seiner Werke in ihrer Jahrespräsentation, er wird sogar zu einer Ausstellung ins Amsterdamer Stedelijk Museum eingeladen. Der Kunstkritiker Franz Roh prägt für die Bilder von Spies und einiger anderer Nach-Expressionisten den Begriff „Magischer Realismus“. Doch der Maler bleibt bescheiden: „Mir selbst scheint es ja, lieber Herr Roh, dass ich vielleicht in zehn Jahren erst soweit sein werde, dass meine Bilder mich ganz befriedigen.“ Sein Fernweh wächst, als er ein Buch mit Fotos von der damals zu Niederländisch-Indien gehörenden, heute indonesischen Insel Bali entdeckt: „Da will ich hin.“

 

Zum ersten Mal von Spies gehört hatte Schindhelm, als er in den späten achtziger Jahren in Moskau für die Zeitung „Neues Leben“ arbeitete. Sie wurde im Verlag der „Prawda“ für die deutschsprachige Minderheit in der Sowjetunion publiziert, und bei einigen Wolgadeutschen war in der Spätphase des Realkommunismus noch die Erinnerung an den jungen Künstler präsent, der vor der Oktoberrevolution zwangsweise in der Stadt Sterlitamak am Südural hatte leben müssen. Schindhelm ist selber ein Globetrotter, der Theatermacher, Kulturberater und Schriftsteller hat in Dubai, Hongkong und Singapur gearbeitet und lebt heute in London und der Schweiz. Spies bewundert er für seinen „extrem glamourösen, sehr modernen Lebensstil“. Vielleicht hat Schindhelm in ihm einen Wahlverwandten erkannt.

 

Persönliches Paradies auf Bali

Schon eine Woche nachdem er als ungelernter Leichtmatrose an Bord der „SS Hamburg“ im Oktober 1923 Java erreicht hat, ist Spies entzückt von den Einheimischen. Die Javaner, schreibt er, seien „unglaublich schön, so zartgliedrig, braun und aristokratisch“, während er die holländischen Kolonialisten für „flegelhaft, dumm, borniert“ hält. Bald spricht er „ganz gut Malaiisch“, beherbergt in seiner Unterkunft einen „lieben Affen“, einen Papagei und Eidechsen. Den Lebensunterhalt verdient er als Musiker, eine Zeit lang leitet er das Hoftanzorchester des Sultans Hamengkubuwono VIII. Spies lernt, die Instrumente Gamelan und Kendanh zu spielen, schreibt Partituren und arbeitet an der Entwicklung einer neuartigen Notenschrift. Der Pionier möchte „verwildern und eine neue Welt erschaffen“. Ähnlich wie Paul Gauguin zwanzig Jahre früher in der Südsee, beginnt er die europäische Zivilisation zu verachten.

Sein persönliches Paradies findet der Maler 1927 auf Bali. Er gründet die Künstlerorganisation Pita Maha, die sich für indonesische Künstler einsetzt, und errichtet in der Kleinstadt Ubud ein Haus, das zum Treffpunkt einer internationalen Kulturschickeria wird. Charlie Chaplin gibt bei Spies das Gemälde „Rehjagd“ in Auftrag, Vicki Baum schreibt dort ihren Bestseller „Liebe und Tod auf Bali“, die amerikanische Ethnologin Margaret Mead wird zu einer Freundin. Er ist in die Abgeschiedenheit Balis geflohen und hilft, die Insel für den Tourismus zu erschließen – das ist das Dilemma von Walter Spies. In dem „Berghäuschen“, das er in der Nähe des Vulkans Gunung Agung, Balis heiligen Berges, baut, werden später Mick Jagger und David Bowie wohnen. Man kann es tatsächlich noch heute mieten.

 

Verfolgung wegen seiner Homosexualität

Ende der dreißiger Jahre verschärft sich, analog zum Erstarken des Rechtsextremismus in Europa, das politische und gesellschaftliche Klima in Indonesien. Die Christelijke Staatskundige Partej fordert ein härteres Vorgehen der Kolonialregierung gegen Homosexuelle, der Generalstaatsanwalt lässt Listen von Verdächtigen erstellen und ordnet Verhaftungen an. Spies wird Anfang 1939 festgenommen und in einem farcehaften Prozess zu einer achtmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Sex mit Minderjährigen gehabt haben soll.

 

Als die Wehrmacht im Mai 1940 die Niederlande besetzt, wird Spies abermals interniert, diesmal als feindlicher Ausländer. Dann greifen die Japaner die Kolonie an, die Internierten werden nach Bombay verschifft. Walter Spies stirbt zusammen mit mehr als 400 anderen Gefangenen im Januar 1942 an Bord des Dampfers Van Imhoff, der von japanischen Bombern westlich von Sumatra versenkt wird. „Er hat das getan, wovon wir alle einmal geträumt haben“, schreibt Vicki Baum über ihn. „Er war ein freier Mann, wenn auch gefangen in den Turbulenzen seiner Zeit.“


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